Berlin, 13. Februar 2007 – SPD und Union werden nach Informationen von SPIEGEL
ONLINE im Bundestag keinen Antrag auf ein wissenschaftliches Gutachten zur
Erforschung mutmaßlicher früherer Stasi-Tätigkeiten von Parlamentariern im
Bundestag von 1949 bis 1990 stellen. Er habe „erhebliche Zweifel, ob es
gelingen wird, in der Öffentlichkeit klar zwischen Tätern und Opfern des
DDR-Systems zu unterscheiden“, heißt es in einem dreiseitigen Brief des Ersten
Parlamentarischen Geschäftsführers der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Norbert
Röttgen, an den Leiter der Stasi-Gedenkstätte in Berlin-Hohenschönhausen,
Hubertus Knabe. „Insofern sehe ich durchaus eine Schutzpflicht des Parlaments
gegenüber seinen (früheren) Mitgliedern“, so Röttgen.
Das Schreiben, das SPIEGEL ONLINE vorliegt, datiert von Anfang Februar. Auch
der Fraktionsgeschäftsführer der SPD, Olaf Scholz, unterstützt die Haltung
seines CDU-Kollegen. In einem Brief an Knabe wird auf das Schreiben Röttgens
ausdrücklich verwiesen: „Diese Meinung entspricht derjenigen meiner Fraktion“.
Hintergrund der Ablehnung waren Überlegungen im Bundestag, ein Gutachten bei
der Birthler-Behörde in Auftrag zu geben. Mit dem Thema hatte sich im
vergangenen Jahr der Ältestenrat des Parlaments beschäftigt. Anlass waren
Berichte aus dem vergangenen Jahr im Zusammenhang mit den „Rosenholz“-Dateien
über mutmaßliche und tatsächliche Tätigkeit früherer Bundestagsabgeordneter.
Die Birthler-Behörde hatte im Herbst die Akten über 49 Abgeordnete aus der Zeit
zwischen 1969 und 1972 freigegeben, die von der Auslandsspionage der DDR
erfasst worden waren. 43 Abgeordnete waren als IM geführt worden. Die
Behördenleiterin Marianne Birthler hatte daraufhin angeregt, der Bundestag
könne ein Forschungsgutachten zur generellen Untersuchung des
Stasi-Verstrickungen im Bundestag beantragen.
Das lehnt die Große Koalition jedoch ab. In seinem Schreiben verweist Röttgen
auf die damalige Erklärung der Birthler-Behörde, wonach sich nach derzeitigem
Kenntnistand festhalten lasse, dass von den 43 IM des Sechsten Bundestags drei
tatsächlich IM im Sinne des Stasi-Unterlagengesetzes gewesen seien, also
„wissentlich und willentlich“ für die Stasi gearbeitet hätten. Bei zwei
weiteren Abgeordneten habe eine Stasi-Tätigkeit erst später eingesetzt, die
verbleibenden 38 Fälle seien „sehr wahrscheinlich“ auch im Sinne des
Stasi-Unterlagengesetzes Betroffene. Es sei daher zu erwarten, dass neben der
geringen Zahl von IM unter den Abgeordneten eine weitaus größere Zahl ohne
eigenes Wissen als Informationsquelle geführt worden sei, so Röttgen. „Es
spricht daher vieles dafür, dass ein solches Gutachten nicht den
Informationswert haben dürfte, der von ihm möglicherweise erwartet wird“, so
der CDU-Politiker in seinem Schreiben an Knabe.
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