Kommissar lobt Erdogans Reformtempo / Aufnahme in EU könnte Konflikt mit der islamischer Welt verhindern / Kritik an Folterpraxis
– EU-Erweiterungskommissar Günter Verheugen sieht rasante Fortschritte der Türkei auf dem Weg in die Europäische Union. In dem Fortschrittsbericht der EU, der am (morgigen) Mittwoch vorgestellt werden soll, werde dem Land ein Modernisierungsschub attestiert, sagte er im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE. Europa habe ein „vitales Interesse“ an einem „starken, demokratischen Partner“ an der Südostflanke. Ausschlaggebend dafür sei der Terroranschlag in New York und Washington vom 11. September 2001 gewesen: „Einer der möglichen großen Konflikte im 21. Jahrhundert kann sich zwischen den westlichen Demokratien und der islamischen Welt ereignen. Wenn wir die Türkei fest in unserem Lager eingebunden haben, steigen die Chancen ernorm, einen solchen Konflikt zu vermeiden oder ihn friedlich zu lösen.”
Verheugen erklärte, in dem EU-Fortschrittsbericht werde „das wirklich beeindruckende politische Reformtempo, das die Regierung von Tayyip Erdogan im letzten Jahr vorgelegt hat“, gelobt. Allerdings hapere es „noch gewaltig bei der Umsetzung”. „Es wird weiterhin gefoltert“, beklagte der deutsche Kommissar im SPIEGEL-ONLINE-Interview. Er sage den Türken seit langem: „Lasst als erstes die Leute aus dem Gefängnis, die dort sitzen, weil sie nur ihre Meinung äußerten. Ein Land, das Gesinnungshäftlinge hält, stellt sich ins Abseits.” Defizite sieht der Kommissar auch bei der exponierten Rolle der türkischen Generäle.
Die entscheidende Frage sei jedoch, „ob die Türkei in den nächsten acht bis zehn Monaten den überzeugenden Beweis liefert, wie sich die Wirklichkeit verändert". Auch einen Sonderstatus, eine „privilegierte Partnerschaft", für die Türkei schloss Verheugen gegenüber SPIEGEL ONLINE nicht aus.
Verheugen warnte vor „geografisch-religiösen Abgrenzungen, wie ‚Europa hört dort auf, wo die gotischen Kathedralen aufhören'“. Das Thema eigne sich nicht für Wahlkämpfe, wie es Teile der CDU/CSU planten. Die Parteien müssten aufpassen, dass sie die Wählerschaft nicht irreführten, da der Beitritt jetzt noch gar nicht zur Abstimmung stehe.
Sicher sei, dass sich nicht nur die Türkei allein durch den Modernisierungsschub verändere: Auch die EU werde nicht so aussehen wie jetzt, so Verheugen zu SPIEGEL ONLINE.
Das vollständige Interview ist unter www.spiegel.de abrufbar.
Ansprechpartner für Rückfragen:
Lars Langenau
Telefon: 030/38080-376
E-Mail: langenau@spiegel.de
Kommunikation
Herbert Takors
Telefon: 040/3007-2614
E-Mail: herbert_takors@spiegel.de