Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit seinem heute veröffentlichten Urteil (Az. VI ZR 337/22) ein wegweisendes Zeichen für die Pressefreiheit gesetzt. Er entschied, dass die Verdachtsberichterstattung des SPIEGEL über den Wirecard-Protagonisten Oliver Bellenhaus aus dem November 2020 rechtmäßig war. Insbesondere stellte der BGH klar, dass bereits während eines laufenden Ermittlungsverfahrens ein ungepixeltes Foto des Verdächtigen veröffentlicht werden durfte. Damit hob das Gericht eine anderslautende Entscheidung des Oberlandesgerichts München auf.
In seiner Begründung stellte der BGH die Pressefreiheit über die Persönlichkeitsrechte von Bellenhaus und betonte die zentrale Rolle der Medien bei der Aufklärung gesellschaftlich relevanter Skandale. Das Urteil stärkt das Recht der Presse, im Rahmen der Verdachtsberichterstattung unter bestimmten Umständen auch im Ermittlungsstadium mit Namen und Bild über verdächtigte Personen zu berichten. Laut dem BGH dürfen Fotos von Verdächtigen gezeigt werden, wenn ein überragendes Informationsinteresse der Öffentlichkeit besteht.
Dieses Urteil korrigiert eine Tendenz vieler Instanzgerichte, die in der Vergangenheit die Unschuldsvermutung übermäßig stark gewichtet hatten. Der BGH stellte klar, dass die Unschuldsvermutung nicht grenzenlos ist und bei erheblichem öffentlichem Interesse zurücktreten muss. Wenn Skandale beleuchtet, offene Fragen aufgeworfen und Einschätzungen der Staatsanwaltschaft kritisch hinterfragt werden, dürfen laut der Entscheidung des höchsten deutschen Zivilgerichts im Zweifel auch Fotos der Verdächtigten gezeigt werden.
Bereits 2021 hatte der SPIEGEL erstritten, den vollen Namen von Oliver Bellenhaus nennen zu dürfen.