
„Wir erheben Daten, die immer in einem Bezug zu Menschen stehen, die mit unserem Produkt und unseren Inhalten interagieren.“
Was war für dich die aufregendste Zahl in Bezug auf das 75-jährige Jubiläum des SPIEGEL?
Bei all den Zahlen finde ich immer noch die 75 an sich am aufregendsten. Die 75 Jahre Geschichte dieses Hauses. 75 Jahre, in denen das Haus deutsche und Weltgeschichte begleitet und teilweise mitgestaltet hat, was mich als Mitarbeiter auch demütig macht. Deswegen hat für mich diese Zahl auch eine so besondere Bedeutung.
Bei einer reichweitenstarken Seite wie SPIEGEL.de gibt es einige Daten, die man analysieren kann. Wie behaltet ihr da den Überblick?
In der Tat ist es spannend. Denn ein Großteil der deutschsprachigen Bevölkerung kommt auf den verschiedensten Wegen irgendwann mit unserem Produkt in Kontakt. In unserem Team Research & Data vereinen wir verschiedene technische Methoden. Bei allen Projekten steht aber im Kern, dass wir viel darüber reden, welche Themen und Aufgabenstellungen uns im Alltag bewegen. Der Ausgangs- und Ankerpunkt ist dabei immer die Fragestellung, die an uns herangetragen wird oder aus unserer Arbeit entsteht. Das Schwarmwissen des gesamten Teams sorgt dafür, dass wir den Überblick behalten.
Für mich ganz im Speziellen im Kontext meiner Themen von Datenerhebung und Infrastruktur ist es entscheidend, das Datenmodell zu kennen. Ich kenne die Struktur. Mit dem notwendigen Verständnis für das Produkt und die Implementierung kann ich mir die vielen verfügbaren Daten erschließen. Ansonsten wäre es schwierig, sich alles zu merken. Aber zum Glück ist dies nicht so wichtig, wenn man das Datenmodell gut kennt.
Bei so vielen Zahlen denken einige bestimmt mit schwitzigen Händen an ihren Mathematik-Unterricht zurück. Lass uns doch mal an deiner Faszination teilhaben, was findest du hieran so spannend?
Die Probleme des Mathematik-Unterrichts oder das, was dort immer zu kurz gekommen ist, trifft hier absolut nicht zu: nämlich der Praxisbezug. Wir erheben Daten, die immer in einem Bezug zu Menschen stehen, die mit unserem Produkt und unseren Inhalten interagieren. Das macht das Ganze schon viel leichter. Uns helfen dann aber die vielen Kolleg:innen aus dem Team, die mit Interviews, Umfragen und qualitativen Methoden punktuell das Verhalten sichtbarer und greifbarer machen. In der Breite zeigen unsere Daten, wie sich die Nutzer:innen durch unser Produkt bewegen.
Stadtplaner und Architekten zum Beispiel haben es in einer Hinsicht deutlicher einfacher: Sie können physische Barrieren nutzen, um Ströme von Menschen gezielt zu lenken. Dann muss man sich dort nur hinstellen und beobachten, wie sie laufen und ob etwas funktioniert oder nicht. Der Bewegungsraum im Digitalen lässt sich viel schwieriger gestalten. Unsere Daten helfen uns dabei zu verstehen, wie unsere Produkte und Inhalte sowohl im Sinne unserer Nutzer:innen als auch im Sinne unserer vertrieblichen Maßnahmen funktionieren. Durch eine Leserschaft, die einen großen Anteil der deutschsprachigen Bevölkerung ausmacht, werden die Zahlen so spannend und hilfreich. Entsprechend groß ist das Interesse im Haus, zu verstehen, wie unsere digitalen Produkte genutzt und angenommen werden.
Hat sich der Wunsch nach mehr Daten nach dem Relaunch 2020 und während der Pandemie eigentlich merklich erhöht?
Auf jeden Fall. Der Relaunch der Webseite ist die eine Seite. Fast entscheidender war zudem, dass es einen strategischen und organisatorischen Relaunch gab, der den Fokus auf eine strukturierte Produktentwicklung gelegt hat. Damit verbunden ist die Organisation in einem OKR-Prozess (Anm.: Objectives und Key Results) und die Bildung von interdisziplinären Entwicklungsteams. Damit haben sich diejenigen, die an der Entwicklung unserer digitalen Produkte beteiligt sind, vervielfacht. Es sind insgesamt mehr Kolleg:innen, die mit Interesse und Leidenschaft an dem Produkt mitentwickeln, die alle wissen wollen, welche Rolle ihr Beitrag spielt. Dabei helfen wir mit unseren Daten. Zudem haben wir Möglichkeiten geschaffen, wie wir Nutzer:innen auf der Seite gezielter ansprechen können. Somit ist die Arbeit als Analyst und Datenarchitekt insgesamt vielfältiger geworden und wird im Haus auch stärker wahrgenommen und anerkannt.
Die Redaktion war schon immer wissbegierig und wollte schon immer möglichst viele und aktuelle Daten. Allein von Berufswegen sind sie immer neugierig und auf der Suche nach einer guten Quelle für eine gute Story. Und diese Quelle wollen wir für die Redaktionskolleg:innen sein. Sie freuen sich darüber, dass wir inzwischen Artikel nicht mehr nur durch ihre Reichweiten bewerten müssen, sondern das Augenmerk auch auf Conversions und Kennzahlen über die Qualität der Nutzung und der längerfristigen Bindung unser Leser:innen legen können.
Stichwort: Post-Cookie-Ära. Was macht dich so sicher, dass wir auch dann noch verlässliche Daten erfassen werden?
Ich bin positiv gestimmt, da wir sogar verlässlichere Daten bekommen werden. Nur zur Einordnung, was meint Post-Cookie-Ära für mich? Vor allem das Wegfallen der Drittanbietercookies und insbesondere das Geschäftsmodell Nutzer:innen heimlich über verschiedene Webseiten zu verfolgen und hierüber Daten zu verknüpfen, derer sich diese nicht so bewusst sind.
Für uns heißt das jetzt, dass wir gemeinsam mit unseren Datenschutzbeauftragten Möglichkeiten schaffen, wie wir Daten effizienter aber zugleich transparenter erheben können. Effizienter, weil wir Profile über die Accounts der Nutzer besser zusammenführen können. Transparenter, weil wir dafür die Nutzer:innen noch besser aufklären müssen, was für Daten wir erheben und warum wir dies tun. Zudem müssen wir auch mehr Möglichkeiten einräumen Teilen davon zu widersprechen. Für beide Seiten ist dies eine Chance.
Die Datenmenge im Sinne verwertbarer Nutzerprofile wird vermutlich geringer – insbesondere auch bei Gruppen, die ohnehin nur kurz oder eher selten SPIEGEL.de nutzen. Auf der anderen Seite werden die Daten, die wir weiterhin erheben können, dafür verlässlicher. Um eine Lanze für meinen Job zu brechen: Mit den erhobenen Daten wollen wir im Sinne der Nutzer:innnen das Erleben unserer Produkte zu einem positiveren Erlebnis machen. Deswegen bin ich sehr zuversichtlich für die Zeit nach der Nutzung der Third-Party-Cookies.
Das Interview haben wir im Sommer 2022 geführt.