
„Wir sollten bestenfalls nicht nur an Journalistenschulen rekrutieren. Ich achte darauf, dass ich ein diverses Team habe, das im Idealfall auch paritätisch aufgeteilt ist.“
Sagen, was ist. Wie ist es für dich, in einem Verlagshaus mit einer 75-jährigen Historie zu schreiben?
Ich erinnere mich noch gut, wie ich die erste Zeit ehrfürchtig durchs Atrium gelaufen bin und es gar nicht wirklich glauben konnte, dass ich jetzt beim SPIEGEL bin – das war schon ein Stück weit surreal. Ich kann mich nämlich noch gut erinnern, wie ich im Rahmen meines Volontariats einen vierwöchigen Kompaktkurs an der Akademie für Publizistik hier in Hamburg hatte, und mich ehrlicherweise nur getraut habe, das SPIEGEL-Gebäude von weitem anzugucken. Dieses Zitat „Sagen was ist“ hat mich bereits in meiner Schulzeit geprägt, obwohl mir damals nicht bewusst war, dass es von Augstein stammt (lacht). Es ist für mich schon eine gewisse Ehre, hier zu arbeiten. Diese 75 Jahre stehen schließlich für einen ganz besonders investigativen Journalismus – und das ist schon beeindruckend. Ich glaube, Du hast Dich mehr als einmal beim SPIEGEL beworben, ist das richtig? Ja, insgesamt dreimal. Und beim dritten Mal hat es geklappt (lacht).
Inwieweit bringst du deine junge Perspektive bei der Themensetzung und beim Schreiben mit ein?
Ich versuche mich zum Beispiel immer in Workshops zu engagieren, in denen es um die Unternehmenskultur und journalistisches Arbeiten geht. Wir haben beispielsweise im Rahmen der Relotius-Affäre unsere Leitlinien, die SPIEGEL-Standards, überarbeitet. Dort hatte ich mich in einer Arbeitsgruppe engagiert und konnte mich mit Themen einbringen, die mir wichtig sind, wie Unabhängigkeit und Transparenz. Auch in größeren Runden kann und sollte man sich einbringen: Als Neuzugang durfte ich damals in der Morgenkonferenz eine Blattkritik halten und in diesem Rahmen werden dann auch üblicherweise drei Themenvorschläge gemacht. Einer meiner Themenvorschläge war die Kinderwunschproblematik von alleinstehenden Männern. Und diesen Vorschlag hatte dann das Ressort Panorama, wenn ich mich recht erinnere, tatsächlich aufgegriffen. Das ist dann schon ganz cool.
Ansonsten werde ich natürlich auch nicht müde, dafür zu plädieren, dass wir diverser werden müssen, dass wir bestenfalls nicht nur an Journalistenschulen rekrutieren, sondern uns weiter öffnen sollten. Ich mache das auch selbst in meinem Team, indem ich bei der Auswahl von studentischen Hilfskräften darauf schaue, dass das nicht schon richtig „krasse“ Nachwuchsjournalist:innen sind, sondern dass ich ein diverses Team habe, das im Idealfall auch paritätisch aufgeteilt ist. Das gelingt natürlich mal besser mal schlechter, aber grundsätzlich ist es mir sehr wichtig, dass ich in meinem Team viele Blickwinkel und unterschiedliche Meinungen habe.
Die Corona-Pandemie hat vieles verändert. Auch die Arbeit in der Redaktion, deine Arbeit?
Die Pandemie hat eigentlich nur das offen gelegt, was alle – glaube ich – schon sehr lange vermutet haben: dass wir nicht unbedingt einen festen Arbeitsplatz benötigen, jedenfalls nicht fünf Tage die Woche. Wir arbeiten ja auch zeitlich sehr flexibel: mal am Wochenende, je nachdem, was ansteht oder ab 5:30 Uhr (lacht). Es ist gar nicht mehr notwendig, dass alle ihr eigenes Büro haben. Natürlich geht dabei auch etwas Geborgenheit verloren, aber es ermöglicht uns auch eine unfassbare Flexibilität – allein dadurch, dass Anfahrtswege wegfallen. Für viele ist das hybride Arbeiten ein Zugewinn, der ihnen – auch persönlich – neue Möglichkeiten eröffnet hat. Und das Gelingen ist im Grunde eine Frage des Wollens – und zwar von allen Seiten, von der Führungskraft wie auch vom Teammitglied. Da werden wir in nächster Zeit sicherlich auch noch einige Reibungsverluste haben, aber es bietet eben auch etwas.
Oftmals werden Journalist:innen auf “Querdenker”-Demonstrationen angegangen, Wörter wie “Lügenpresse” sind Ausdruck einer Spaltung geworden: Wie gehst du ganz persönlich mit derartigen Angriffen um?
Dadurch, dass ich eher nicht direkt von Demonstrationen berichte, werde ich damit im realen Leben nicht so sehr konfrontiert, jedenfalls nicht im beruflichen Zusammenhang. Wenn mir in meinem privaten Umfeld Menschen damit kommen, und sei es nur scherzhaft, dann versuche ich schon, souverän-neutral zu reagieren. Auch in diversen WhatsApp-Gruppen, in denen man ist: Sobald da ein Hoax rumgeschickt wird, versuche ich natürlich aufzuklären und in einem gewissen Rahmen dagegen zu halten, aber ich würde dafür jetzt nicht mein letztes Hemd geben. Mir ist es ganz wichtig, dass es ein souverän-sachlicher Dialog ist. Diese Maxime verfolge ich auch in meinem beruflichen Umfeld.
Der Blick in die Glaskugel: Welche Überschrift würdest du gern in 25 Jahren auf dem Titel des SPIEGEL lesen?
(lacht) Das ist ja dann schon ganz kurz vor meinem Ruhestand – sozusagen. Wobei ich mir noch nicht so richtig vorstellen kann, dass ich irgendwann nicht mehr arbeite. Aber ich würde dann gern eine optimistische Headline lesen und zwar, dass wir Parität in der Besetzung des Bundestags haben. Damit meine ich nicht nur das Verhältnis von Mann und Frau, sondern dass wir wirklich ein reales Abbild der Bevölkerung darstellen können, dass wirklich Politik gemacht wird, die alle mitnimmt, und sich die Gesellschaft sensibilisiert für die Anliegen kleinerer Interessengruppen. Mich würde es aber genauso freuen, wenn wir sagen könnten, wir erreichen die Klimaziele doch (lacht). Aber eigentlich hoffe ich natürlich, dass es nicht 25 Jahre dauert, bis wir so etwas titeln können!
Das Interview haben wir im Sommer 2022 geführt.